Kaisersteinbruch, die unsichtbare Geschichte

Ein essayistischer Dokumentarfilm von Reinhard Tötschinger


Vor drei Jahren wurde ich durch eine Ö1-Sendung auf die Geschichte von französischen Kriegsgefangenen aufmerksam, die während des Zweiten Weltkriegs Liebesbeziehungen mit österreichischen Frauen aufgenommen hatten. Das Schicksal der Frauen und ihrer Kinder hat mich weiterforschen lassen. So bin ich auf den Ort Kaisersteinbruch gestoßen, in dem sich eines der größten Kriegsgefangenenlager befand.

Das Unsichtbare und Unausgesprochene neben den sichtbaren Resten der Vergangenheit haben eine nachhaltige Irritation und Neugier bei mir ausgelöst. Der essayistische Dokumentarfilm Kaisersteinbruch, die unsichtbare Geschichte beschreibt dies bildhaft, ausgehend von der Gegenwart und den derzeit dort lebenden Bewohner:innen.


„Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.“

Ernst Bloch

 

Als ich zum ersten Mal von der zum Teil tragischen, in jedem Fall aufregenden Geschichte des Ortes Kaisersteinbruch hörte, war mir dieser bisher nur als gefürchtete Kaserne in den 1970er Jahren bekannt. Die vielschichtige Geschichte lebt im Untergrund weiter, mit einer neuen Geschichte überdeckt, die die alte nicht auslöschen kann, ein tot anmutender Ort, der sich um sein Überleben bemüht, ohne Gasthaus, Trafik, Geschäfte, mit einer halbleeren Kirche, einer restaurierten Büste von Kaiser Karl I., einem Militärhundezentrum, einem ›Lagerfriedhof‹ abseits der Straße, der als Soldatenfriedhof ausgeschildert ist, einem Tennisplatz, zu dem eine noch bestehende Lagerstraße führt, auf demselben Platz, auf dem sich das Schwimmbad der Wachmannschaften des Kriegsgefangenenlagers befand.

Mit dem Auto fährt man einer Mauer entlang. Ein Plakat wirbt für ›Starke Truppe, starke Jobs – Unser Heer‹. Ein Schild. ›Militärisches Sperrgebiet. Lebensgefahr.‹ Man würde nicht an einen einst blühenden Ort mit internationalen Steinmetzen, an das Anhaltelager der Austrofaschisten für Kommunisten, Sozialisten und Nationalsozialisten und an eines der größten Kriegsgefangenenlager des Deutschen Reichs denken, das sich hier befand. Kaum jemand weiß mehr davon. Man spricht nicht darüber. Auch nicht davon, dass hier Soldaten aus achtzehn verschiedenen Nationen gefangen und umgekommen und dass hier die meisten gefangenen französischen Soldaten des Deutschen Reiches interniert waren.

SS-Dokument 1943, Stalag XVIIA.
Die Ausstrahlung französischer Kriegsgefangener ist eine erhebliche Gefahr für die Reinhaltung deutschen Blutes.
Bei mehr als neunzig Prozent aller Fälle von verbotenem, geschlechtlichen Verkehr in der Ostmark sind Franzosen beteiligt.

 

Die französischen Kriegsgefangenen wurden zum Großteil als Zwangsarbeiter auf Bauernhöfe, in Fabriken und auf Baustellen eingesetzt. Den Frauen, die mit ihnen Beziehungen eingehen wollten, wurde seitens der Wehrmacht und SS mit Kerker, fallweise mit KZ gedroht. Kinder aus solchen Beziehungen sollen trotz der Verbote aus Liebe hier entstanden sein, wird überliefert. 

Wie Geschichte in Österreich gerne verschwiegen und wiederholt wird, ist mir wiederum und hier besonders aufgefallen und hat mich nicht mehr losgelassen.


Kaisersteinbruch, die unsichtbare Geschichte befindet sich in Produktion.

 

Schwerpunkte: 

1.     Was wurde den Nachkommen weitergegeben? Wie erging es den Frauen, die mit französischen Kriegsgefangenen eine Beziehung aufgenommen hatten und deren Kindern? Wie wird die Geschichte umgewandelt, um sie erträglicher zu machen, und wie wird sie in den Alltag eingebaut? Die Bevölkerung will überleben („Heute ist Kaisersteinbruch ein Schmuckkästchen“ – Aussage einer über achtzigjährigen Bewohnerin), Länder und Bund sind an einer Aufarbeitung wenig bis gar nicht interessiert.

2.    Worauf richtet sich der Blick, aus welcher Perspektive wird betrachtet? Ausgehend von der Gegenwart nimmt der Film neben der Blütezeit der kaiserlichen Steinbrüche, des späteren Militärlagers der Monarchie und des Anhaltelagers der Austrofaschisten die einzelnen Vergangenheiten ­auf – vor allem das Kriegsgefangenenlager Stalag XVIIA, eines der größten im Deutschen Reich und mit der höchsten Anzahl an französischen Gefangenen.

3.     Die Vergangenheit des Ortes bringt eine Zusammenstellung in die Gegenwart, die sich wie eine absurde Collage darstellt. Unsichtbares und Unausgesprochenes soll in diesem Essayfilm bildhaft wahrnehmbar werden. Deren Deutung bleibt offen.

Credits:

Reinhard Tötschinger – Buch und Regie

Joerg Burger – Kamera

Joseph Nicolussi – Ton

Vincent Pongracz – Tonkomposition, Geräusche

Ruth Schönegge – Schnitt

Uli Grimm – Schnittassistenz

Sprecher – Cornelius Obonya, Reinhard Tötschinger

Produktion – Reinhard Tötschinger

Fördergeber: BMKÖS, Stadt Wien, Land NÖ, Zukunftsfonds